One line

Dániel Péter Biró: Al Ken Kara

für sieben Stimmen

(2013/2014)

»In diesem Projekt kann ich vereinen, was ich am liebsten tue: Thora lesen und komponieren«, sagt Dániel Péter Biró über Mediterranean Voices, und tatsächlich geht die Auseinandersetzung mit jüdischer Liturgie und Kultur in sehr viele seiner Werke ein.
Dániel Péter Biró ist der einzige der zwölf Komponisten, der nicht aus dem Mittelmeerraum stammt. Vielmehr ist er in der jüdischen Diaspora verwurzelt, als Sohn eines ungarischen Vaters und einer amerikanischen Mutter ist er in einer mehrsprachigen, multikulturellen Umgebung aufgewachsen und hat in unterschiedlichsten Ländern gelebtin Rumänien, in den USA, in Ungarn, in Deutschland, in der Schweiz, in Österreich, in Israel und nun in Kanada. Interkulturalität»eine zerbrochene Hybridkultur«sei für ihn der Normalzustand.
Als Thema für Al Ken Kara (»Darum ruft man ihren Namen«) wählte Dániel Péter Biró den Mythos vom Turmbau zu Babel, über eine einst einheitliche mündliche Kultur, die im Laufe der Zeit auseinanderfällt.
Er sieht seine Komposition als eine »Untersuchung der hermeneutischen Beziehungen zwischen dem Ort des ursprünglichen geschichtlichen Ereignisses, dem religiösen Mythos und der Interpretation dieses Mythos’ im Laufe der Geschichte bis zur Moderne.
Am Anfang der Komposition wird eine imaginierte ‘Ur-Sprache’ gesungen, aus deren phonetischer Struktur Obertöne entstehen, die das harmonische Gerüst der Komposition bilden. Parallel dazu dringen verschiedene Fremdsprachen in die Komposition ein. Jeder Sänger unternimmt eine linguistische ‘Reise’ entweder in die Länder des Mittelmeerraums oder ‘nach außen’nach Ostasien, Zentralafrika und anderswohin.
Meine Reise nach Tunesien im vergangenen November [mit dem Filmteam von Mediterranean Voices] und die Begegnung mit den dortigen jüdischen und islamischen Rezitationstraditionen hat die tonale Struktur der Komposition inspiriert. Djerba ist für die jüdische Geschichte sehr wichtig, da es die älteste jüdische Gemeinde in der Diaspora seit 2500 Jahren ununterbrochen beherbergt. Die Beziehung zwischen Islam und Judentum bekommt in diesem Kontext eine besondere Bedeutung.«
Durch Fragmentierung, Dekonstruktion und Auslassung entwickelt sich aus den Rezitationstexten im Verlauf des Werkes eine Sprache der musikalischen Abstraktion. In diesem Kontext wird der Thoratext für das Werk nicht nur zum Rätsel, sondern auch zur archäologischen Ausgrabung, »etwa wie Trümmer der Geschichte, die freigelegt, entschlüsselt, erläutert und zum Tönen gebracht werden. Der Text über die Katastrophe des Missverstehens kann somit musikalisch auch als utopischer Ursprung der linguistischen und religiösen Vielfalt ausgelegt werden.« (D.P.B.)

Der Kompositionsauftrag wurde gefördert von der Ernst von Siemens Musikstiftung
Unterstützt durch das Canada Council for the Arts