Luxa Mart*in Schüttler: Diskreter Wolf
für sechs Stimmen, Video und Live-Elektronik
(2021/2024)Diskreter Wolf ist eine musikalische Aneignung. Als Vorlage diente eine Komposition von Hugo Wolf aus dem Jahr 1881. Die dritte Strophe seines Chorwerks Resignation aus den Sechs geistlichen Liedern erklingt in Diskreter Wolf extrem verlangsamt und in Stücke geschnitten. Akkord für Akkord wird der originale Wolf diskret (math.) abgetastet, mikrotonal verbogen und mit künstlichen Stimmklängen angereichert. Quasi das vokale Imitat einer elektronischen Klangsynthese. Darüber legen sich digitale Artefakte, die dem historischen Ausgangsmaterial visuell und klanglich weitere Ebenen von Künstlichkeit gegenüberstellen.
Trotz dieser technischen Verfahrensweisen scheint die spätromantische Tonsprache Hugo Wolfs durch das gesamte Stück hindurch. Die damit assoziierte bürgerliche Sehnsucht nach Schönheit und Erlösung steht im Kontrast zu dem von Eichendorff insinuierten Trost durch (kollektiven) Selbstmord. Die vorgenommenen kompositorischen Eingriffe verstärken diese berückend-dystopische Wirkung zusätzlich und lassen eine Art post-humane Klanglandschaft entstehen.
(Luxa Mart*in Schüttler)
Text
Komm, Trost der Welt, du stille Nacht!
Wie steigst du von den Bergen sacht,
Die Lüfte alle schlafen,
Ein Schiffer nur noch, wandermüd’,
Singt übers Meer sein Abendlied
Zu Gottes Lob im Hafen.
Die Jahre wie die Wolken geh’n
Und lassen mich hier einsam steh’n,
Die Welt hat mich vergessen,
Da tratst du wunderbar zu mir,
Wenn ich beim Waldesrauschen hier
Gedankenvoll gesessen.
O Trost der Welt, du stille Nacht!
Der Tag hat mich so müd’ gemacht,
Das weite Meer schon dunkelt,
Laß’ ausruh’n mich von Lust und Noth,
Bis daß das ew’ge Morgenrot
Den stillen Wald durchfunkelt.
Joseph von Eichendorff, Der Einsiedler (1837)