Zad Moultaka: Hummus
pour sept chanteurs
(2013/2014)Zad Moultaka ist eigentlich immer unterwegs. Er verbringt sein Leben zwischen Beirut, wo seine Familie lebt, und Paris, wo er beruflich verortet ist, auf Konzertreisen oder auch an persönlichen mediterranen Sehnsuchtsorten in Italien oder Südfrankreich. Seit er vor 20 Jahren aus den vielen sich anbietenden künstlerischen Wegen den Beruf des Komponisten wählte, hat er intensiv darüber nachgedacht, ob und wie in westliche Kunst-Musik auch Elemente arabischer Musik zu integrieren sind. Inzwischen hat er eine kunstvolle Meisterschaft darin entwickelt, und er verbindet mikrotonale Klanglichkeit und instrumentale Klangsinnlichkeit mit Energie und dramaturgischer Stringenz (zuletzt hier erlebt in einem Konzert des Ensembles L’Instant Donnée in unserer Konzertreihe). Und er überrascht nun–allen voran sich selbst–mit einem ganz anders gearteten Werk, das unter dem Eindruck von Mediterranean Voices und dem Besuch des Basses der Neuen Vocalsolisten in Beirut entstanden ist. Hummus ist die künstlerische Verarbeitung dieser Reise, die Zad Moultaka auch in seine Vergangenheit und in die Kriegserlebnisse seiner Jugendzeit führte–ein direktes, aufgeladenes, fast rituelles Werk, ein Miniatur-Drama zwischen bewusst gewählter Komik und abgrundtiefem Zynismus.
»Dieses Projekt zum Thema des Mittelmeers hat für mich völlig unerwartet einen neuen Weg eröffnet zu einem Zeitpunkt, an dem meine Musiksprache immer mehr zu einer ausgeprägten Form der Abstraktion tendierte. Die Elemente, aus denen Hummus besteht, haben sich mir in einer Eindeutigkeit aufgedrängt, die mir nicht die Wahl ließ, den einen oder den anderen Weg zu nehmen.
Thema ist das Massaker von Sabra und Schatila in Beirut. Verübt durch Christen (meine Glaubensgemeinschaft) und Israelis im Jahr 1982, war es von einer extremen Gewalt und es zeigte einmal mehr, zu welcher Rohheit der Mensch fähig ist. Dieses abscheuliche Ereignis hat mich lange Zeit umgetrieben.
Und über lange Zeit hinweg haben mich diese entsetzlichen Bilder lautlos bewohnt, wie ein heimtückisches Gift, das Jahr um Jahr in den Körper und in den Geist eindringt. All das musste eines Tages auf die eine oder andere Art wieder auftauchen. Und das hat es mit Hummus getan.
Warum? Das weiß nur das Unterbewusstsein. Das Bewusstsein stellt Fragen. Gibt es eine Nähe zwischen der dunklen Geschichte Deutschlands in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts und der des Libanon? […] Was das Schreiben dieses Stückes an den Tag gebracht hat, war, dass die deutsche und die arabische Sprache eine gemeinsame Energie haben. Das mag befremdlich erscheinen, aber […] die deutsche Sprache kann ganz natürlich eine arabische Anmutung bekommen in Form und Rhythmus, die ich (immer gegen meinen Willen) der Tradition des Zagal entliehen habe: Wortgefechte und Gedichtsammlungen, die man in den libanesischen Bergen und verschiedenen arabischen Ländern des Mittelmeerraums findet. Auch die musikalische Sprache ist von der Form des Zagal bestimmt. Sie ist in melodischer und musikalischer Hinsicht sehr rudimentär und geprägt vom Wesen volkstümlicher Poesie, wodurch eine Form kindlicher Naivität entsteht.
Es war mir unmöglich, während des Kompositionsprozesses dagegen anzukämpfen. Wurde dieser Kampf am Ende etwa von dem Heranwachsenden gewonnen, der ich im September 1982 gewesen bin? Es gibt viele andere Fragen, die letztlich ohne Antwort bleiben. Das hat damit zu tun, welchen Platz das Unbewusste in der Arbeit an diesem Werk eingenommen hat. Für mich hat es vielleicht eine kathartische und befreiende Wirkung.
Die Handlung: Andreas kehrt zurück von einer Reise, die ihn in ein Land im Krieg geführt hat. Er ist unfähig auszudrücken, was er empfunden hat und von der Gewalt zu sprechen, der er begegnet ist. Seine Freunde bestehen jedoch darauf und treiben ihn völlig in die Enge. Spottend über ihn und immer teuflischer agierend machen sie ihn schließlich zum Mörder, der sie, einen nach dem anderen, eliminiert. Doch ist das alles wirklich passiert oder sind das die Gespenster und Dämonen seiner eigenen Seele?« (Z.M.)
Die Komposition entstand im Rahmen eines Kooperationsstipendiums der Akademie Schloss Solitude