Uwe Rasch: KinderStücke
Video-Performance
für die Kinder, Frau S. und ihre Helfer
(2019/2021)KinderStücke ist eine Hommage an unsortierte Kinder, die den »Marsch durch die Institutionen« antreten und dabei ihr Päckchen zu tragen lernen (müssen): ihre Schwierigkeiten, ihre Verletzlichkeiten und ihre–bescheiden ausgedrückt–häuslichen Beeinträchtigungen.
Eine Hommage ebenso an diejenigen, die sich ihnen widmen, die sie unterstützen und deren immense Arbeit oftmals zu wenig Beachtung findet. Die gesprochenen Texte stammen aus Schulberichten über drei Grundschulkinder und wechseln sich ab, so dass sie sich erst nach und nach entfalten und man sich nur allmählich orientieren kann–das ist die Situation, in der sich diejenigen wiederfinden, die sich ihnen widmen mit Geduld, Intuition und entschlossenem Handeln.
Die Kinder teilen uns nicht in eigenen Worten, sondern in den Worten eines Erwachsenen mit, um was es geht: die Probleme von Kindern überhaupt zu erkennen, Sensibilisierungen für die Besonderheiten zu finden, Problemlösungen zu suchen und die Helfenden durch professionelle Distanz zu schützen, um (wenn überhaupt) helfen zu können–der bekannte Unterschied zwischen Mitleid und Mitgefühl.
Dafür schien eine Verschachtelung von Erzähltem und Erzähler angemessen statt einer vermeintlichen Authentizität mitleidserregender Kinderschicksale: der geschriebene Text eines Erwachsenen, vorgelesen von einem Kind, dessen Stimme durch Lippensynchronisation wiederum einem Erwachsenen »in den Mund gelegt wird«. Eingriffe in den Text beschränkten sich auf die Arbeit mit Tempo, ohne den Sinn des Gesagten zu destruieren.
Die Klänge basieren nahezu vollständig auf Filterungen des Namenklangs und dem Hoverboard-Geräusch. Drei Zwischenspiele fokussieren auf je einen Namen, dessen Klang durch dynamische Eingriffe an- und abschwillt. Der zweite Teil basiert musikalisch auf drei Kinderliedern: eines beschreibt die Probleme einer Mutter/Kind Beziehung, die Schwierigkeiten bei der Ablösung voneinander und der Transformation ihrer Beziehung. In einem zweiten wird auf medikamentöse Behandlung gesetzt, um ein Kind genesen zu lassen. Und im dritten erfahren wir von einer »märchenhaften« Widerstandsfähigkeit, heutzutage mit Resilienz bezeichnet (psychische Widerstandskraft; Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen). Mit anderen Worten: Die musikalische Grundlage bilden die drei Lieder »Hänschen klein«, »Häschen in der Grube« und »Auf einem Baum ein Kuckuck saß«.
Den noch unausgebildeten, unselektierten Grundschulkindern und ihren Geschichten stehen im zweiten Teil drei professionell ausgebildete, hoch spezialisierte, durch viele Selektions- und Förderungsmaßnahmen gegangene Klangakteure mit ihren Fähigkeiten gegenüber. Diese Stimmen summen glissandierend–schlicht und schwer zugleich.
(Uwe Rasch)
Kompositionsauftrag von Musik der Jahrhunderte